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Genial oder egal? Eine Betrachtung aktueller Wahlkampagnen
Sie sind die sichtbarsten und direktesten Botschaften einer Kampagne und erreichen in Summe wahrscheinlich die meisten Menschen: die Wahlplakate. Natürlich sind sie nur ein Teil einer umfassenderen Strategie, die von Social Media über Werbespots bis hin zu Interviews, Reden u. v. m. reicht. Aber die Plakate im öffentlichen Raum bieten einen guten Einblick in die Kernthemen der Parteien. Welche Parteien dabei starke Narrative bedienen, welche Wählergruppen sie ansprechen und was ihre Bildsprache über sie verrät? Das versuche ich hier kurz und knapp zu analysieren.
Was ist das Narrativ?
Parteien nutzen ihre Slogans nicht nur zur Selbstvermarktung, sondern auch, um bestimmte Bilder in den Köpfen der Wähler*innen zu verankern. Dabei greifen sie unterschiedliche Emotionen auf – sei es Hoffnung, Angst, Stolz oder Sicherheitsbedürfnis. Doch wie wirkungsvoll sind diese Botschaften wirklich, insbesondere in Verbindung mit den visuellen Elementen der Kampagnen? Welche Partei versucht, welche Gefühle anzusprechen, Worte für sich zu claimen oder Themen zu besetzen?
CDU/CSU: „Wieder nach vorne!"
Die CDU/CSU setzt auf Bewährtes: Stabilität, Ordnung, wirtschaftlicher Aufschwung. Doch wenn man genauer hinschaut, merkt man schnell – die Kampagne will nicht nur Stammwähler*innen ansprechen. Die Botschaften „Recht und Ordnung wieder durchsetzen“ oder „Für ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können“ zielen bewusst auf Wähler*innen ab, die sich in den vergangenen Jahren der AfD zugewandt haben. Die CDU/CSU will genau diese Unzufriedenen zurückholen, indem sie sich als seriöse, aber entschlossenere Alternative präsentiert – und teilweise Themen übernimmt. Beispielsweise indem sie Worte wie „stolz“ versucht, wieder positiv zu konnotieren.
Visuell setzt die Partei neben Schwarz stark auf Cyan, was schon bei den vergangenen Wahlen zum Einsatz kam. Friedrich Merz wird als staatsmännisch, aber volksnah inszeniert. Die Bildsprache ist nüchtern, fast konservativ-funktional, was das Narrativ von Beständigkeit und Führung unterstreicht. Kurz: Es geht darum, Vertrauen wiederzugewinnen – besonders bei jenen, die sich von der Politik entfremdet fühlen. Gleichzeitig grenzt sich die CDU/CSU mit dieser Kampagne von der Ampel-Koalition ab und stellt sich als klare Gegenkraft dar.
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SPD: „Wir kämpfen für dich"
Die SPD gibt sich angriffslustig – und das ist kein Zufall. Mit Headlines wie „Wir kämpfen für deine Sicherheit“, „Wir kämpfen für deine Freiheit“, „Wir kämpfen für deinen Wohlstand“ will sie sich als Bollwerk gegen soziale Ungerechtigkeit positionieren. Die Rhetorik wirkt dabei fast ungewohnt für die SPD, die sonst sachlicher und weniger martialisch daherkommt. Doch die Botschaft ist klar: Die Partei will als aktive Kraft wahrgenommen werden, als verlässlicher Schutz in Krisenzeiten.
Interessant ist der Kontrast: Während Scholz sich als „Friedenskanzler“ inszeniert, der besonnen und diplomatisch agiert, rückt die Kampagne ihn dennoch in eine kämpferische Rolle. Diese Strategie spricht Wähler*innen an, die Stabilität wollen, sich aber gleichzeitig nicht von der Union vertreten fühlen.
Die visuelle Inszenierung unterstreicht diesen Ansatz. Olaf Scholz und seine Mitstreiter*innen stehen, selbstbewusst und staatstragend vor der Deutschlandflagge – eine bewusste Machtdemonstration. Die Farbwelt bleibt reduziert, damit sich die Kernaussage nicht verliert.
Bündnis 90/Die Grünen: „Ein Mensch. Ein Wort.“
Die Grünen setzen auf Klarheit und Struktur. Ihre Kampagne richtet sich an sozialliberale, umweltbewusste Wähler*innen, die nach pragmatischen Lösungen suchen. Auffällig ist der Aufbau der Slogans: „Leben: Bezahlbar machen!“, „Frieden in Freiheit: Sichern!“, „Schulen und Kitas: Sanieren!“, „Natur und Klima: Schützen!“ – ein einheitliches Muster, das Verlässlichkeit suggerieren soll. Dabei ist der Kampagnenslogan „Ein Mensch. Ein Wort.“ bewusst gewählt: Auf jedem Plakat ist ein Wort farblich hervorgehoben, um das Versprechen von Verbindlichkeit zu unterstreichen.
Die Portraits der Kandidat*innen scheinen herangezoomt. Das soll auch physisch die Nahbarkeit und persönliche Glaubwürdigkeit verstärken. Gleichzeitig versuchen die Grünen, mit Optimismus zu punkten – mit Formulierungen wie „Bündnis-Kanzler“ und dem Fokus auf eine positive Zukunftsvision heben sie sich von der krisendominierten Kommunikation anderer Parteien ab. Die Frage ist, ob sich das gegen die lauteren Krisennarrative der Konkurrenz durchsetzen kann.
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FDP: „Alles lässt sich ändern“
Die FDP bleibt ihrem Markenkern treu: Modernität, Individualismus, marktwirtschaftliche Prinzipien. Doch diese Kampagne geht noch einen Schritt weiter. Mit schwarz-weißen Portraits und knalligen gelben Headlines wie „Migration: Auch guter Wille muss Grenzen setzen“, „Schulden: Kinder haften für ihre Eltern“ oder „Vater Staat ist nicht dein Erziehungsberechtigter“ setzt sie bewusst auf Provokation. Diese auffällige Gestaltung ist nicht neu – die FDP nutzt dieses Stilmittel schon seit mehreren Wahlkämpfen.
Diese Strategie spricht gezielt eine Wählerschaft an, die wirtschaftsliberale, aber auch gesellschaftlich kontroverse Themen offen anspricht. Gleichzeitig wird klar: Die FDP grenzt sich bewusst von der Ampelkoalition ab und möchte sich als eigenständige, konfliktfreudige Kraft positionieren. Statt sich in der aktuellen Regierung als „Teamplayer“ zu präsentieren, setzt sie auf Zuspitzung – vermutlich, um den sinkenden Umfragewerten entgegenzuwirken.
AfD: „Zeit für Deutschland“
Die AfD bleibt ihrem bewährten Narrativ treu, setzt diesmal aber stärker auf visuelle Normalität. Statt radikale Begriffe zu verwenden, dominieren Botschaften wie „Zeit für unsere Kultur“, „Zeit für unseren Aufschwung“ oder „Endlich wieder sagen dürfen, was man will“. Die Partei versucht, sich als Kämpferin für eine vermeintlich bedrohte Normalität zu inszenieren, mit Bildern, die gezielt ein heiles, vertrautes Deutschland zeigen: lachende Biertrinker, Arbeiter mit Helm oder entspannte Gesprächssituationen (zumindest auf der Website).
Diese Strategie spricht insbesondere enttäuschte Unions- und Protestwähler*innen an, die sich von anderen Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Die bewusst schlichte, in Blautönen gehaltene Gestaltung mit nationalen Farbakzenten betont die Kernbotschaft: Deutschland müsse zurück zu einer vermeintlichen Normalität finden.
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Abschlussgedanke:
Mir stellt sich die Frage „Wie wichtig sind Wahlplakate noch?“ – Wahlplakate transportieren klare Botschaften, sind aber meiner Einschätzung nach längst nicht mehr das alleinige, wichtigste Kampagneninstrument. Der wahre Kampf um Aufmerksamkeit findet heute auf Social Media statt. Parteien wissen das und setzen längst darauf. Ein Wahlplakat kann noch so gut sein – es wird nie die emotionale Reichweite eines gezielt gesetzten Statements auf TikTok oder Instagram haben. Deshalb bleibt die Frage: Sind Wahlplakate nur noch symbolisch wichtig oder beeinflussen sie tatsächlich die Wahlentscheidung?